DER MATERIELLE WOHLSTAND DER ÖKONOMISCH ENTWICKELTEN LÄNDER – auf wessen Kosten ?

DER MATERIELLE WOHLSTAND DER ÖKONOMISCH ENTWICKELTEN LÄNDER – auf wessen Kosten ?

In den ökonomisch hochentwickelten Ländern Europas und Nordamerikas, in Australien/Neuseeland und Japan wird ein minimaler, noch annehmbarer Lebensstandard für einen ungelernten Arbeiter und selbst für einen mittellosen, aber staatlich unterstützten Arbeitslosen (also allgemein die untersten sozialen Schichten einer Gesellschaft) wie folgt definiert:

Minimaler, noch annehmbarer Lebensstandard (Zentraleuropa, Nordamerika, Australien/Neuseeland, Japan) – Jedem/jeder Familie soll mindestens Folgendes gewährt sein bzw. soll sich Folgendes als Mindestniveau leisten können, um ein „würdiges“ Leben führen zu können:

  • Eine der Familiengröße entsprechende, einfache Wohnung in einem Gebäude, das in einem akzeptablen baulichen Zustand ist
  • Stromversorgung (24 Stunden)
  • Fließend Wasser (kalt und warm – 24 Stunden)
  • Heizung im Winter
  • Badezimmer samt WC und Dusche in der eigenen Wohnung/Gebäude
  • Küche mit Spüle, Herd, Kühlschrank in der eigenen Wohnung/Gebäude
  • Eine Waschmaschine
  • Ausreichende und gesunde Ernährung (drei Mahlzeiten am Tag – eine davon warm)
  • Einfache aber adäquate Kleidung (klima-abhängig)
  • Elementare gesundheitliche Pflegemittel für den Körper + Reinigungsmittel für den Wohnraum
  • Einfache, aber funktionsfähige Möbel, ein Telefon, einen Fernseher
  • Kranken-/Zahnärztliche Grundversorgung (inklusive Rehabilitation, Hilfsmittel – Brille, Prothesen etc.)
  • Unfallversicherung (insbesondere am Arbeitsplatz)
  • Sozialleistungen/staatliche Unterstützung bei Arbeitslosigkeit und/oder Mittellosigkeit
  • Ausreichende Rentenzahlung ab Erreichen des Rentenalters (je nach Land ab dem 62/65sten Lebensjahr)
  • Abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung (für sich und mögliche Kinder)
  • Arbeitsplatz ohne Gesundheitsgefährdung
  • Bei Berufstätigkeit, mindestens zweiwöchige bezahlte Urlaubszeit im Jahr
  • (Spielzeug und Freizeitartikel (z.B. Fahrrad, Bücher, Computer, einfaches Sport- und Musikgerät), eventuell ein kleines gebrauchtes Auto pro Familie)?

Der oben so definierte Lebensstandard gilt in den ökonomisch entwickelten Ländern Europas und Nordamerikas, in Australien/Neuseeland und Japan als minimaler Standard, der jedem Mitbürger zusteht beziehungsweise welcher die Gesellschaft oder der Staat jedem Einwohner ermöglichen muss. Von daher müssen Löhne und Gehälter in diesen Ländern entsprechend so angelegt sein, dass ein solcher Mindestlebensstandard auch für jeden Menschen erreichbar ist (wenn nicht direkt durch entsprechende Lohnzahlungen an die arbeitende Bevölkerung, so doch zumindest durch gesellschaftliche/staatliche, meist durch Steuereinnahmen finanzierte Leistungen an den einzelnen).

Doch wie sieht es im Rest der Welt aus? Es ist jedem von uns bewusst, dass der oben definierte minimale Lebensstandard außerhalb der ökonomisch entwickelnden Staaten, das heißt in Afrika, in den meisten Ländern Asiens und Lateinamerikas, sowie in weiten Bereichen des ehemaligen Ostblocks für die allermeisten Menschen meist nichts anderes als einen nicht zu erreichenden Traum darstellt. Nur die allerwenigsten Menschen in diesen Regionen der Erde können sich ein solches Lebensniveau auch nur annähernd leisten.

Dennoch, viele Produkte, die in den ökonomisch entwickelten Ländern gehandelt werden, stammen aus Drittstaaten[1], z.B. Nahrungsmittel/ landwirtschaftliche Erzeugnisse (einschließlich Fleisch/Fisch), Naturprodukte (einschließlich Holz und Papier), Kleidung, Schuhwerk, elektronische Geräte, Spielzeug, Plastikprodukte etc. Ebenso beinhalten die meisten Güter, die in den ökonomisch entwickelten Ländern hergestellt, verarbeitet oder gehandelt werden, einen oft sehr hohen Anteil an Bestandteilen/Produktions-/ Betriebsmittel, welche aus Drittstaaten stammen: Landwirtschaftliche Rohstoffe (pflanzliche Grundstoffe, aber auch u.a. Kraftfutter für die Tierhaltung; tierische Produkte) und natürliche Rohstoffe, Textilien (z.B. Baumwolle), mineralische Rohstoffe, verarbeitete mineralische Materialien, Energieträger inklusive Erdöl/Erdgas, Gummi, Plastik etc.

Dies heißt, dass ein Großteil der Güter, die für das hohe materielle Lebensniveau in den ökonomisch entwickelten Staaten unverzichtbar sind (und für deren Bürger ökonomisch erschwinglich sind und bleiben müssen), sowohl Rohstoffe wie insbesondere aber auch Arbeitskraft aus Drittländern beinhalten. Doch diese Arbeitskraft ist in keinster Weise auch nur annähernd so entlohnt (und „geschützt“) wie jene Arbeitskraft/Arbeitnehmer in den importierenden, das heißt den ökonomisch entwickelten Staaten (bei uns). Die Arbeitskraft der Drittländer ist, was ihr Lebensniveau angeht, Lichtjahre von dem minimalen Lebensstandard der Industriesaaten (siehe obige Box) entfernt, und für die meisten von ihnen sind Armut, persönliche Bedrohung und teilweise selbst Hunger reale Dimensionen ihres täglichen Lebens.

Doch sollte eine moderne, reife und entwickelte Gesellschaft nicht das gleiche minimale Lebensniveau, das sie für die eigenen Staatsbürger einfordert (sogar durch Gesetze/Verfassung), für alle Mitmenschen auf dieser Welt einfordern und dafür konsequent eintreten? Doch was würde geschehen, wenn diese Importnationen (wir) tatsächlich darauf bestünden, dass die Arbeitskraft aus Drittländern, welche an der Entstehung und am Transport von in den Industrienationen gehandelten Waren beteiligt ist, einen entsprechenden minimalen Lebensstandard (bzw. einen entsprechend notwendigen Arbeitslohn) wie den der eigenen Mitbürger erhielten?

Folgendes würde passieren: Die Gesellschaft (Sozial- und Wirtschaftssysteme) jener Drittländer müsste ihre Einnahmen (u.a. Gewinne und Steuern) substantiell erhöhen, um ihren Bürgern auch nur annähernd einen solchen Lebensstandard garantieren zu können, wie den minimalen, noch akzeptablen Lebensstandard in den ökonomisch entwickelten Ländern. Unter anderem[2] müssten die aktuellen Löhne in jenen Ländern um ein Mehrfaches angehoben werden, sämtliche (von den Industrienationen) importierten Fertigwaren, Rohstoffe und Materialien aus diesen Länder würden möglicherweise um ein Vielfaches teurer werden.

Eine Zündkerze zum Beispiel, die unter anderem aus Kupfer, Nickel, Talkum, Stahl/Erz (aus Drittländern) besteht, würde uns möglicherweise anstatt zehn Euro über hundert Kosten. Der Preis für ein Handy oder einen Laptop, welche unter anderem Coltan und Lithium (aus Drittländern) als Baustoffe mit hoher elektrischer Leit- und Speicherungsfähigkeit beinhalten, würden möglicherweise um mehrere Hundert Prozent steigen. Jedes Auto, jeder Fernseher, Baumwollkleidung, alle oben angeführten importierten Fertigprodukte, Nahrungsmittel, Rohstoffe und Materialien würden exponentiell teurer werden. Die unumgängliche logische Konsequenz wäre evident:

Ein Zusammenbruch der Nachfrage aufgrund der explodierenden Produkt- und Betriebsmittelpreise;

Produktionsstillstand in einem Großteil der Industrie- und Gewerbebetriebe;

Massenarbeitslosigkeit;

Anfängliche Hyperinflation, gefolgt vom Zusammenbruch der Börsen und schließlich des Geldwertes;

Anarchie und Gewalt.

Doch dazu wollen und können es die ökonomisch entwickelten Staaten nicht kommen lassen. Sie fordern (und garantieren) zwar als Minimum einen noch akzeptablen Lebensstandard für ihre eigenen Mitbürger, wollen aber auf billige/erschwingliche Produkte und Dienstleistungen, welche ihren hohen durchschnittlichen Lebensstandard ausmachen/garantieren, nicht verzichten, und nehmen es daher in Kauf, dass in Drittländern die für diese Waren entsprechend benötigte Arbeitskraft selbst auf einen minimal akzeptablen Lebensstandard verzichten muss.

(Die Tatsache, dass weltweit immer mehr Konzerne und Betriebe Produktionsbereiche „legal“ in Drittländer auslagern, um von der dort billigen Arbeitskraft zu profitieren, sei hier nur nebenbei erwähnt; sogenannte Fair-Trade Produkte sind vielleicht gut gemeint, erhöhen aber de facto nur unwesentlich den Lebensstandard der lokalen Arbeitskraft und verdienen daher diese Bezeichnung meist nicht – schon gar nicht garantieren sie auch nur annähernd einen vergleichbaren minimalen Lebensstandard wie in den ökonomisch entwickelten Staaten definiert).

Welche Erkenntnis ist aus diesem Tatsachenzusammenhang zu gewinnen?

Prinzipiell diejenige, dass eine kapitalistische Wettbewerbsgesellschaft und deren Wirtschafts- und Sozialsysteme global nur durch den gleichzeitigen Erhalt von zum Teil eklatanten Disparitäten von Einkommen und Lebensniveaus und damit substantieller sozialer Ungerechtigkeit aufrecht erhalten werden können. Jede Anstrengung, soziale Gerechtigkeit und ein akzeptables Lebensniveau weltweit für alle Menschen zu gewährleisten, würde das eigentliche System in Frage stellen und möglicherweise zu dessen Zusammenbruch führen. Das kapitalistische Wettbewerbsmodell braucht soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte und Schieflagen und basiert daher auf der Beibehaltung von globaler Ungerechtigkeit.

Ein neues Weltbild, mit einem entsprechend epochal erneuertem Wirtschafts- und Sozialsystem, ist eine elementare Notwendigkeit für eine gerechte Zukunft unserer globalen Wirklichkeit – daher wird es unabdingbar sein, mit verknöcherten Tabus zu brechen.

[1] Drittstaaten: hier definiert als Länder, die nicht zur EU, Nordamerika oder den Industrienationen Asiens gehören, somit insbesondere die sogenannten Schwellen- und die sogenannten Entwicklungsländer.

[2] Zusätzlich zu der Notwendigkeit die Löhne anheben zu müssen: zum Beispiel die Einhaltung von internationalen Umweltnormen; Sozialpolitische Maßnahmen zur Garantie der persönlichen Sicherheit etc.